Beatrix Schulte, die Autorin des Buches “Seelenfeder”, es geht um kreatives Schreiben, hat sich sehr spontan bereit erklärt, mein neues Format “Platz-nehmen und darüber reden” zu eröffnen. Warum ich auf sie gekommen bin? Ich habe ihr Buch gelesen und es hat mich sehr berührt. Als es dann um die Idee für das neue Format ging, kam mir spontan Beatrix in den Sinn. Mit ihrem Tun schafft sie Raum, sich (wieder) auf den eigenen Platz zu besinnen, ihn wieder einnehmen zu können. Und jemand wie Beatrix, sich Auszeit nehmend und in spanischen Cafés ein Buch darüber schreibend, ist meiner Meinung nach bestens geeignet über Platz-nehmen befragt zu werden.
Warum ich auf das Format gekommen bin und was es damit auf sich hat, wird in einem anderen Beitrag Thema. Jetzt eröffnet Beatrix Schulte den Reigen mit der Beantwortung meiner Fragen.
Was verbindest Du mit Platz-nehmen? Was assoziierst Du damit? Wofür steht Platz-nehmen für Dich?
In der Einleitung meines Buches Die Seelenfeder schreibe ich unter dem Punkt Ordnung genau das! Ich wähle diese interessanten Worte „Platz nehmen“, die so viel Deutung zulassen. Ich darf kurz mich selbst zitieren:
„Ein Weg zur Klarheit des Geistes führt über das Schreiben und der dadurch stattfindenden inneren Zentrierung. Mit dem Schreiben halten wir die Gedanken an, sortieren aus und um, bis alles wieder eine gerade Linie ergibt. Im Schreiben halten wir die Welt an und bahnen uns den Weg durchs Chaos. Schreibend finden wir unseren Platz und viel besser: wir nehmen ihn auch ein!“
Wenn ich etwas persönlich werden darf, dann möchte ich sagen, ich habe in meiner Kindheit keinen eigenen Platz gehabt, außer oben in meinem Zimmer an meinem Schreibtisch. Dort habe ich Tagebuch geschrieben und zwar jeden Abend. Das war meine Form, in einer Großfamilie als einzige Tochter Platz einzunehmen. Als mein Vater schon schwer an Demenz erkrankt war, kam er oft hoch in mein Zimmer, hat sich in den Sessel vor meinen Schreibtisch gesetzt und hat geschlafen. Wenn er plötzlich aufwachte, drehte er sich zu mir um und fragte: „Was schreibst du denn da immer?“ Dann drehte er sich wieder um und schlief wieder friedlich ein. Wir haben diese gemeinsame Zeit genossen. Dort oben in meinem Zimmer, an meinem Schreibtischplatz war heilige Ruhe. Eine Etage tiefer sah das etwas anders aus;)
Wenn Du an das Thema denkst, gibt es privat und beruflich Unterschiede in der Bedeutung für Dich? Wenn ja, welche?
Privat ist es mir lange schwer gefallen, Platz einzunehmen in einer Paarbeziehung. Es war eher so, dass ich den Platz immer frei gemacht habe, weil ich dachte, ich störe oder nerve. Die Männer haben das leider aufgefasst als: Sie steht nicht zu mir, sie nimmt den Platz neben mir nicht ein. Verhängnisvoll, aber ich bin dankbar, dass es mir bewusst geworden ist.
Beruflich muss ich echt überlegen. Es ist eine interessante Frage. Oh ja, auch das hat lange gedauert, bis ich mich an meine Themen herangetraut habe. Ich habe bereits vorher Ratgeber geschrieben, aber nie über das Schreiben an sich. Auch fand ich nicht, dass diese Art des Freien Schreibens Kunst ist. Erst als ich das Bewusstsein davon hatte, dass ich mit Worten Menschen berühren kann (meine Definition von Kunst), kam ein Büro in einer Künstlergemeinschaft mit Malern und Bildhauern auf mich zu. Seitdem habe ich beruflich meinen Platz als Schreiberin eingenommen.
Wie weit greift „Platz-nehmen“ in Deinem beruflichen oder gesellschaftlichen Umfeld? Magst Du was darüber erzählen?
Kunst ist wichtig, um seinen Platz einzunehmen als kreatives Wesen. Jeder ist kreativ, jeder kann schreiben, malen und werkeln. Jeder! Nicht jeder ist ein Rilke oder Hanns-Josef Ortheil, den ich sehr verehre für seine Genauigkeit beim Schreiben, und doch kann jeder seine Gedanken und Gefühle zu Papier bringen und daraus etwas Kreatives gestalten. Schöpferisch tätig sein, sollte viel mehr Platz einnehmen in unserer Gesellschaft, dann würden nicht so viele mit einer gestressten und unzufriedenen Miene herumlaufen. In der Kreativität entdecken wir uns als jemand ganz anderes, wir sind so spannend! Und wir wären viel mehr bei uns selbst, wenn wir den kreativen Platz in unserem Leben einnehmen würden. Dann müssten wir auch nicht auf andere hetzen und uns ständig im Außen verlieren.
Mit wem würdest Du gerne einmal an welchem Ort für ein gutes Gespräch Platz-nehmen?
Definitiv Hanns-Josef Ortheil, ich habe eben noch ein Bild von ihm entdeckt aus den frühen Jahren, interessanter Mensch. Seine Duden Bücher über das Schreiben, besonders das über Notizen, ist hervorragend. Gerade lese ich Über Stift und Papier, man lernt so viel von ihm über das Basiswissen Schreiben. Er ist Professor für Kreatives Schreiben in Hildesheim und ist in Köln aufgewachsen. Mhm, also ich fände es schön, wenn er mal hierhin in die Sauerländer Natur kommen würde, ich habe schon die Literarische Gesellschaft vor Ort auf ihn angesetzt;)
Mit welchem Platz-nehmen verbindest Du eher negative Erinnerungen/Erfahrungen?
Im Internet nehmen mir zu viele mit ihren Parolen Platz ein und heizen sich gegenseitig an. Es muss doch mal endlich was geschehen in Deutschland, rufen sie. Wir müssen auf die Straße und uns gegen die Politik wehren. Erstmal sollten wir den Platz in unserem Herzen einnehmen, damit würden wir Verantwortung übernehmen für uns.
Was braucht Deiner Meinung nach wieder mehr Platz in unserer Gesellschaft?
Auf jeden Fall Kreativität, ein wunderbarer Verfechter ist Gerald Hüther, der Neurowissenschaftler. Bitte endlich an den Schulen mehr Begeisterung, mehr schöpferisches Tätigsein, mehr Mut machen. Mensch, was war ich schlecht in der Schule. Das Abitur habe ich mit Mühe und Not geschafft, aber ich habe meinen Deutschlehrer vergöttert. Und irgendwann schrieb er unter eine Arbeit: Ich glaube, du hast das tiefe Tal in Deutsch überwunden. Er hatte mir beigebracht, einen Aufsatz logisch aufzubauen, alles Unnötige wegzulassen und einen roten Faden zu behalten. Also ich meine, wir brauchen Lehrer mit Herz und einem kleinen verrückten Tick, weniger angepasste-sich-fremd-bestimmt-fühlende-überlastete-auf-Sicherheit-gepolte Lehrer.
Eine persönliche Frage, hast Du in Deinem Leben schon DEINEN Platz gefunden? Oder bist Du noch auf der Suche, auf dem Weg? Oder wechselt das Gefühl um DEINEN Platz? Privat, beruflich, gesellschaftlich?
Ich habe meinen Platz gefunden hier in der Künstlergemeinschaft, hier im Sauerland, wenn ich mit meinem Hund durch die Wälder streife, in der Nähe meiner Familie und guter alter Freunde. Ich habe meinen Platz beim Freien Schreiben gefunden. Doch Plätze kann und sollte man immer bereit sein, wieder zu wechseln.
Wie geht es Dir mit dem Platz-nehmen an einem Dir fremden Ort? In einem Dir fremden Bereich? Bei dir fremden Menschen?
Das fällt mir sehr leicht. Ich suche das erstbeste Café, das mir zusagt (ich habe eine Nase für gute Cafés zum Schreiben) und dort bin ich direkt zu Hause, nehme einen Platz ein und zücke mein Heft und den Bleistift. Ich liebe es, zwischen den fremden Menschen zu sitzen, um mich herum Kaffeeduft und Geplapper. Deswegen sammle ich ja auf Facebook in der Gruppe Schreiben in Cafés alle guten Schreibcafés.
Wo ist der schönste Platz für Dich in Deinem Leben? Es darf auch gern ein Reisetipp sein 😊
Tja, ich könnte Girona in Spanien sagen, wo ich die Seelenfeder geschrieben habe, das war einmalig klasse. Jeden Tag habe ich in der Sonne in den Cafés geschrieben. Ich könnte Rom sagen, das habe ich direkt in der Nase, wenn ich daran denke. Rom ist ein Gefühl. Schwer… es ist auf der einen Seite der Wald, in dem ich mich immer wohl fühle und auf der anderen Seite ein gemütliches Café. Ich bin Wassermann, Aszendent Zwilling, solche Fragen sollte man mir nicht stellen;)
Wo siehst Du Deinen Platz in 5 Jahren?
Schreibend in Cafés…
Hast Du eine Vision vom perfekten Platz? Privat, beruflich, gesellschaftlich?
Ich liebe Bauernhöfe. Vielleicht lebe ich eines Tages dort mit Künstlern, der Familie, Tieren und wir haben ein gemütliches Café, bei dem immer wieder interessante Menschen vorbeischauen.
Was magst Du uns zum Thema Platz-nehmen noch wissen lassen, was nicht gefragt wurde?
Du hast alles gefragt, danke dir! Es war sehr interessant, unsere kleine Fragereise.
Beatrix Schulte Meine Schreibbar
Liebe Beatrix, herzlichen Dank, dass Du Dich so spontan für die Beantwortung meiner Fragen zur Verfügung gestellt hast.
(Werbung aufgrund von Produkt-Nennung, das Buch Seelenfeder habe ich mir selbst gekauft und erst dadurch Kontakt zu Beatrix Schulte bekommen. Ich habe durch das geführte Interview keinen finanziellen Vorteil in irgendeiner Weise erlangt. “Nur” eine sehr interessante und wissende Person kennengelernt.)
(Das Foto wurde mir von Beatrix Schulte kostenfrei zur Verfügung gestellt)